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Ein stiller Feind im Körper – und in der Küche

Neapel, Italien. Es ist ein gewöhnlicher Eingriff an der Halsschlagader. Doch was Dr. Raffaele Marfella an diesem Tag aus dem Inneren seines Patienten zieht, wirkt alles andere als gewöhnlich: eine gummiartige, halbtransparente Substanz, die mehr an Kaugummi erinnert als an menschliches Gewebe. Unter dem Mikroskop zeigt sich: Es handelt sich um Mikroplastik.

Der Kardiologe am Universitätsklinikum der Università degli Studi della Campania Luigi Vanvitelli ist schockiert – und fasst gemeinsam mit einem Team von Forschern eine Studie ins Auge, die bald international für Aufsehen sorgt.

Mikroplastik in Arterien – ein Durchbruch mit beunruhigenden Folgen

Die Studie, veröffentlicht im renommierten New England Journal of Medicine (NEJM), untersuchte 257 Patienten, denen aus therapeutischen Gründen Plaques aus der Halsschlagader entfernt wurden. In 58 % der Proben fand das Team mithilfe von Laser-Raman-Spektroskopie eindeutig identifizierbare Mikroplastikpartikel – vor allem Polyvinylchlorid (PVC) und Polyethylen.

Besonders alarmierend: In der dreijährigen Nachbeobachtungszeit starben 15 % der Patienten mit Mikroplastikablagerungen – doppelt so viele wie in der Gruppe ohne solche Funde. Auch Herzinfarkte und Schlaganfälle traten signifikant häufiger auf. Für Dr. Marfella ist klar: „Wir waren überrascht, aber die Korrelation war zu stark, um sie zu ignorieren.“

Plastik auf Abwegen – von der Zahnpastatube ins Blut

Mikroplastik ist kein neues Phänomen, doch seine Allgegenwart wird zunehmend zum Problem. Ob Abrieb von Autoreifen, Fasern aus Fleecejacken oder Partikel in Peelings – mit jedem Atemzug, jedem Schluck und jedem Bissen nehmen wir mikroskopisch kleine Kunststoffteile auf. Laut einer Studie aus dem Fachjournal Environmental Science & Technology verschluckt ein Mensch pro Jahr bis zu 52.000 Partikel – plus Atemluft.

Wie gelangen sie so tief in den Körper? Die Vermutung der Forscher: Ultrafine Partikel können die Barrieren von Lunge und Darm überwinden und über die Blutbahn in Organe, Gewebe – und eben auch in arterielle Plaques – gelangen.

Ein Risiko ohne Regelwerk

Was Mikroplastik im Körper anrichtet, ist noch nicht vollständig geklärt. In Tierversuchen verursacht es Zellschäden, Entzündungen und hormonelle Störungen. Auch im Labor lassen sich oxidative Prozesse und DNA-Veränderungen beobachten. Doch ob diese Effekte beim Menschen ebenso gravierend sind, ist Gegenstand intensiver Forschung.

„Die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen“, sagt Dr. Leo Trasande von der NYU Grossman School of Medicine, der nicht an der italienischen Studie beteiligt war. „Aber es gibt Hinweise darauf, dass Mikroplastik ein systemisches Gesundheitsrisiko darstellen könnte.“

Wissenschaft unter Druck

Ein großes Problem: Die Methoden zur Detektion und Quantifizierung von Mikroplastik im menschlichen Körper sind technisch anspruchsvoll und nicht standardisiert. In der italienischen Studie wurde die hochsensitive Raman-Spektroskopie eingesetzt – ein Verfahren, das Lichtstreuung nutzt, um molekulare Strukturen zu identifizieren.

Doch solche Geräte sind teuer, das Personal muss speziell geschult sein, und es gibt keine internationalen Grenzwerte oder Empfehlungen. Die Weltgesundheitsorganisation fordert deshalb dringend mehr Forschung – und politische Reaktionen.

Was können wir tun – und was nicht?

Auf individueller Ebene raten Experten zu einfachen Maßnahmen: Leitungswasser statt Plastikflaschen, Glasbehälter statt Kunststoffdosen, Kosmetik ohne Mikroperlen. Auch Luftfilter in Wohnräumen können die Aufnahme reduzieren.

Aber: „Wir werden das Mikroplastikproblem nicht mit Konsumverzicht allein lösen“, sagt Trasande. „Es braucht eine strukturelle Wende – in Produktion, Gesetzgebung und Recycling.“

Zurück in Neapel blickt Dr. Marfella auf seine Laborproben. Das, was er früher für Cholesterinablagerungen hielt, ist heute mit Plastik vermischt. Eine stille, unsichtbare Bedrohung – eingebettet in das Gewebe, das unser Leben erhalten soll.

Wie groß die Gefahr wirklich ist, weiß noch niemand. Doch eines steht fest: Mikroplastik hat nicht nur unseren Körper erreicht. Es ist längst auch in unsere Küchen eingedrungen – und stellt dort die Systemgastronomie vor neue ethische, hygienische und politische Fragen.

Großküchen im Fokus: Frankreich geht voran

Die zunehmende Erkenntnis über die Verbreitung von Mikroplastik und dessen potenzielle Gefahren bleibt nicht ohne Folgen – auch nicht im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung. Besonders betroffen: Großküchen in Schulen, Kantinen, Krankenhäusern und Unternehmen.

Frankreich hat hier bereits einen deutlichen Schritt gemacht. Mit dem Gesetz EGAlim, das seit 2022 vollständig in Kraft ist, wurde der Einsatz von Plastik in der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung weitgehend verboten. Speisen dürfen dort nicht mehr in Kunststoffgeschirr zubereitet, aufbewahrt oder erwärmt werden – insbesondere nicht in beheizten oder wiederaufgewärmten Verpackungen aus Plastik.

Der Hintergrund: Untersuchungen hatten gezeigt, dass bei hohen Temperaturen – wie sie in Großküchen, Bain-Maries oder Mikrowellen regelmäßig vorkommen – Mikroplastikpartikel sowie hormonähnliche Weichmacher aus Verpackungen in die Speisen übergehen können. Eine Gefahr vor allem für Kinder, Kranke und ältere Menschen, die in Gemeinschaftsverpflegung auf eine besonders gute Qualität angewiesen sind.

In Deutschland und anderen Ländern fehlt ein vergleichbares Gesetz bislang – doch die Diskussion nimmt an Fahrt auf. Einige Träger und Küchenbetriebe stellen bereits freiwillig um: Edelstahlbehälter statt Plastikschalen, Gläser statt Einwegbecher. Doch die Kosten sind hoch, und die Umstellung erfordert Schulungen, neue Abläufe und Investitionen.

„Wer heute noch Essen in Plastikschalen warmhält, muss wissen: Das ist nicht mehr nur ein Umweltproblem“, sagt eine Ernährungswissenschaftlerin aus Lyon. „Es ist ein Gesundheitsrisiko.“

Neue Anforderungen an Küchenplaner – und mögliche Haftungsrisiken

Die Erkenntnisse rund um Mikroplastik haben auch Auswirkungen auf die professionelle Küchenplanung. Immer mehr öffentliche und private Auftraggeber fordern heute „plastikfreie Prozesse“ bei der Zubereitung und Lagerung von Speisen – insbesondere bei sensiblen Zielgruppen wie Kita-Kindern, Patienten oder Senioren.

Küchenplaner müssen daher bei der Ausstattung von Großküchen auf den Einsatz von temperaturstabilen, gesundheitlich unbedenklichen Materialien achten. Edelstahl, Glas, Porzellan und beschichtungsfreie Werkstoffe werden bevorzugt. Auch die Auswahl von Spültechnik, Regeneriermodulen und Transportlogistik rückt stärker in den Fokus.

Rechtlich könnte sich hier in naher Zukunft ein neues Haftungsfeld entwickeln: Wer heute noch systematisch Kunststoffbehälter in thermischen Prozessen einsetzt – etwa beim Warmhalten von Speisen –, riskiert nicht nur Reputationsschäden, sondern bei Schadensfällen auch juristische Konsequenzen, etwa im Lebensmittelrecht oder Produkthaftungsrecht.

„Küchenplaner und Betreiber sind gut beraten, sich mit diesen Themen proaktiv auseinanderzusetzen“, warnen Juristen. „Die wissenschaftliche Erkenntnislage verdichtet sich – und mit ihr steigen die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht.“

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