Der Anlass: CDU-geführte Länder drohen das Vorhaben zu blockieren
Das Tauziehen geht weiter – die Diskussion um die geplante Senkung der Mehrwertsteuer für Speisen in der Gastronomie spitzt sich zu. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) warnt die Länder vor einem Scheitern des Entlastungsgesetzes, sollte es im Bundesrat keine Zustimmung geben – und damit steht erneut die Zukunft einer zentralen Branchenforderung auf dem Spiel.
Die geplante Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie ist längst mehr als ein technisches Detail im Entlastungsgesetz 2026. Sie ist ein Symbol dafür, wie ernst Politik die strukturellen Probleme einer Branche nimmt, die nach Pandemie, Kostenexplosion und Personalmangel noch immer um Stabilität kämpft.
Dass die Länder nun mit Verweis auf drohende Einnahmeverluste eine Kompensation vom Bund verlangen, ist nachvollziehbar – aber riskant. Denn wer das Paket im Bundesrat blockiert, schadet nicht nur der Bundesregierung, sondern auch dem eigenen Wirtschaftsstandort.
Ein Kommentar von GV-future Herausgeber Tim Oberstebrink (FCSI)
Die geplante Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie ist längst mehr als ein technisches Detail im Entlastungsgesetz 2026. Sie ist ein Symbol dafür, wie ernst Politik die strukturellen Probleme einer Branche nimmt, die nach Pandemie, Kostenexplosion und Personalmangel noch immer um Stabilität kämpft.
Dass die Länder nun mit Verweis auf drohende Einnahmeverluste eine Kompensation vom Bund verlangen, ist nachvollziehbar – aber riskant. Denn wer das Paket im Bundesrat blockiert, schadet nicht nur der Bundesregierung, sondern auch dem eigenen Wirtschaftsstandort.
Was auf dem Spiel steht
Für die Gastronomie, Gemeinschaftsverpflegung und das Gastgewerbe insgesamt geht es um planbare Rahmenbedingungen. Viele Betriebe kalkulieren seit Monaten mit einer dauerhaften Entlastung. Eine Rückkehr zu 19 % würde Preiserhöhungen erzwingen, Margen vernichten und Investitionen bremsen.
Gerade in der Schul- und Kitaverpflegung, in Betriebskantinen oder Pflegeeinrichtungen können diese Mehrkosten kaum weitergegeben werden – die Folge wären Qualitätsverluste oder sogar Angebotsrückgänge. Die Länder, die jetzt Kompensation fordern, würden also selbst mit den Konsequenzen leben müssen: steigende Verpflegungskosten in öffentlichen Einrichtungen, höhere Zuschüsse, mehr soziale Schieflagen.
Gleichzeitig ist die Gastronomie ein zentraler Wirtschaftsfaktor in den Regionen. Sie schafft lokale Arbeitsplätze, hält Innenstädte lebendig und bietet jungen Menschen Einstiegschancen in die Berufsbildung. Eine Steuererhöhung auf 19 % würde den wirtschaftlichen Druck in ländlichen Räumen und Mittelstädten weiter erhöhen – ausgerechnet dort, wo die Landespolitik um Belebung ringt.
Die Perspektive der Länder
Auf der anderen Seite sind die Einwände der Länder nicht unberechtigt. Die Finanzministerien in München, Wiesbaden oder Dresden müssen solide Haushalte vorlegen. Elf Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen bis 2030 sind kein Pappenstiel – und viele Länder tragen ohnehin hohe Belastungen durch Bildung, Infrastruktur und Sozialausgaben. Wenn der Bund Entlastungen beschließt, deren Folgekosten zur Hälfte in den Landeshaushalten landen, stellt sich zwangsläufig die Frage nach der fiskalischen Fairness.
Auch die Argumentation, dass eine reduzierte Mehrwertsteuer in der Praxis nicht zwingend zu niedrigeren Preisen für Gäste führt, ist empirisch gedeckt: Ein Teil der Entlastung verpufft im Kostendruck der Betriebe, ohne unmittelbar beim Konsumenten anzukommen.
Doch selbst wenn das so ist – bleibt der Effekt auf Beschäftigung, Liquidität und Stabilität der Betriebe messbar positiv.
Zwischen Verantwortung und Risiko
Deshalb führt an einer ehrlichen Abwägung kein Weg vorbei: Ja, die Länder brauchen solide Haushalte. Aber sie müssen auch erkennen, dass eine lebendige Gastronomie – von der Dorfwirtschaft bis zur Betriebskantine – Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge geworden ist. Wenn die Branche in die Knie geht, entstehen Folgekosten an anderer Stelle: Arbeitslosigkeit, Leerstände, Verlust lokaler Wertschöpfung.
Die dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer ist kein Geschenk an Wirte, sondern ein Beitrag zur wirtschaftlichen Resilienz und gesellschaftlichen Lebensqualität. Wer das Gesetz blockiert, spart kurzfristig im Haushalt – zahlt aber langfristig in Lebensqualität, Steuerkraft und Beschäftigung drauf.
Wenn Ideologie über Wissenschaft steht
Ökonomisch betrachtet ist die Lage eindeutig: Studien des DEHOGA, des ifo-Instituts und anderer Forschungsstellen zeigen seit Jahren, dass reduzierte Mehrwertsteuersätze in preissensiblen Branchen die Beschäftigung sichern und den Schwarzmarkt eindämmen.
Wenn politische Entscheidungen diese Erkenntnisse ignorieren und stattdessen ideologisch motiviert geführt werden – nach dem Muster „die Gastronomie hatte doch genug Hilfen“ oder „das ist nur ein Lobbywunsch“ –, dann verliert die Politik ihre Glaubwürdigkeit.
Eine faktenbasierte Steuerpolitik darf nicht dem parteipolitischen Kalkül geopfert werden. Wer wissenschaftliche Evidenz durch Reflexideologie ersetzt, schwächt das Vertrauen in staatliche Vernunft und verkennt den volkswirtschaftlichen Nutzen einer stabilen Gastronomie.
Am Schluss bleibt:
Bund und Länder müssen einen Weg finden, der fiskalische Verantwortung mit wirtschaftlicher Vernunft verbindet. Doch eines bleibt klar: Wenn die Länder auf sturem Kostenausgleich beharren und das Gesetz zu Fall bringen, verlieren am Ende nicht nur Bund und Gastronomie – sondern auch die Länder selbst.
Die Datenlage: Was sagt die Wissenschaft zur Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie?
Positive Beschäftigungseffekte:
Laut einer Studie der europäischen Dachorganisation HOTREC führte die Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen in Deutschland (von 19 % auf 7 %) zwischen 2009 und 2016 zu rund 46.600 neuen Arbeitsplätzen im Beherbergungssektor. Ähnliche Effekte erwarten Ökonomen auch für die Gastronomie, wenn die Senkung dauerhaft wird.
Nachfrage und Preisentwicklung:
Eine aktuelle Untersuchung der Universität Bonn (“The VAT Pass-Through in German Restaurants“, 2024) zeigt, dass Restaurants nach der Rückkehr zum 19 %-Satz Anfang 2024 etwa 60 % der Steuererhöhung an Gäste weitergegeben haben. Umgekehrt bedeutet das: Eine Senkung kann kurzfristig Preise dämpfen und Nachfrage stabilisieren, selbst wenn sie nicht vollständig weitergegeben wird.
EU-Studienlage:
Eine EU-weite Metaanalyse („Study on reduced VAT rates in the Member States“, EU-Kommission 2016) belegt, dass reduzierte Mehrwertsteuersätze in arbeitsintensiven Dienstleistungen – wie Gastronomie, Friseurhandwerk oder Tourismus – tendenziell Beschäftigung und Investitionen fördern, sofern Preis- und Lohnstrukturen flexibel genug sind.
Aber:
Die Effekte sind nicht automatisch und hängen von Rahmenbedingungen ab – etwa Lohnkosten, Wettbewerb, Energiepreisen und Nachfrageelastizität. Zudem profitieren Gäste nur dann direkt, wenn Betriebe die Steuerersparnis ganz oder teilweise weitergeben.
Schlussfolgerung:
Die wissenschaftliche Evidenz spricht klar für entlastende Effekte, mahnt aber Realismus: Eine Mehrwertsteuersenkung ist kein Allheilmittel, sondern ein ökonomisches Steuerungsinstrument, das nur dann wirkt, wenn Politik und Betriebe gemeinsam Verantwortung übernehmen.



